Trail of Cthulhu

Trail of Cthulhu ist eines von vielen alternativen Regelwerken für Cthulhu, das Rollenspiel. Robin D. Laws und Kenneth Hite haben diese Verion verfasst, oder sage ich gleich „verbrochen“?

Zunächst mal zum Lobenswerten an Trail of Cthulhu:  Es wirkt weitestgehend sehr durchdacht und umschifft geschickt Gefahrenzonen typischer Spieler- und Spielleiterfehler. So wählt z.B. jeder Spieler bei der Charaktererschaffung einen Drang („Drive“), der seinen Charakter dazu bringt, sich mit gefährlichen und merkwürdigen Forschungen zu befassen.

Regeloptionen werden nach Puristen- und nach Pulpstil unterschieden und sind durch Symbole im Regelwerk hervorgehoben.

Auch der Schreibstil ist angenehm. Die Autoren zeigen, dass sie mit diversen Spielleiterparadigmen vertraut sind, identifzieren sich aber nicht mit einem Stil und reden auch nicht bestimmte Spielstile schlecht. So widmen sie etwas zwei Seiten des Buches der Diskussion Railroading vs. offenes Spiel  und lassen Erfahrungen vom Spieltisch mit einfließen.

Nun aber zum Kern der Regeln, nein, den Regelkernen, denn es gibt ihrer drei: Investigative Abilities, General Abilities und Stability/Sanity.

 

Investigative Abilities

Diese Fertigkeiten dienen der Ermittlungstätigkeit. Sie betreffen Wissen, Interaktion und Technik. Das Level der Fertigkeit definiert, wie detailliert der Spielleiter Informationen herausrückt. Gewürfelt wird dabei nicht. Die Kernhinweise zur Lösung des Szenarios werden also automatisch gefunden, denn der Spielleiter stellt sicher, das die Gruppe über die erforderlichen Fertigkeiten für das gewählte Szenario verfügt. Die intellektuelle Schwierigkeit von Ermittlungsabenteuern soll also nicht im zufallsabhängigen Finden, sondern im Zusammenfügen von Information liegen.

Dennoch kann es sich lohnen, mehr als einen Punkt in einer Ermittlerfertigkeit zu haben, denn es gibt die Möglichkeit, Poolpunkte einer Fertigkeit für Vorteile auszugeben (der Ermittlungswert der Fertigkeit sinkt dadurch nicht). Dies kann zu Boni auf eine andere Fertigkeit führen (z.B. durch Nutzung von Fachliteratur), zu persönlichen Bekanntschaften von Nichtspielerfiguren aus dem selben akademischen Fachgebiet, oder zu schnellerem Zugang von Information führen, als im Szenario geplant, was besonders angenehm ist, wenn die Spieler den Plot bereits durchschauen, und man dann eine langwierige Recherche abkürzen kann.

Dieses System hat durchaus Vorteile, die nicht zu leugnen sind, jedoch werden Ermittlerfertigkeiten nie gewürfelt und Spieler müssen mit dem Spielleiter auf einer abstrakten Ebene verhandeln, welche Vorteile sie durch die Ausgabe von Punkten bekommen können.

 

General Abilities

Die allgemeinen Fertigkeiten sind die typischen Fertigkeiten, die in allerlei Action-Szenen genutzt werden: Kampf, Flucht, Verfolgungsjagden etc. Der Unterschied zu Ermittlerfertikeiten: Hier wird gewürfelt! Punkte werden aus der Fertigkeit ausgegeben, um vor dem Wurf einen Bonus zu erkaufen. Nach einer ungestörten Nachtruhe sind die allgemeinen Fertigkeitspools wieder voll (Ermittlungsfertigkeiten erst zum nächsten Szenario).

Das Ressourcenmanagement der Pools soll für Spielspannung sorgen, tatsächlich führt es jedoch auch hier eine abstrakte Ebene ein, die im BRP-Regelwerk und anderen klassischen Rollenspielsystemen nicht existiert. Wer eine hohe Fertigkeit hat, kann zwar mehr Proben erfolgreich bestehen, als jemand mit einer niedrigen Fertigkeit, aber was bedeutet es für den Charakter, wenn der Spieler Punkte ausgibt? Strengt er sich dann mehr an oder weniger? Was bedeutet es, wenn ein Pool leer ist? Ist der Charakter dann erschöpft? Aber wieso muss er dann eine Nacht ausruhen statt 15 min Verschnaufen, um den Pool wieder aufzufüllen? Tatsächlich bedeuten die Fertigkeitspools überhaupt gar nichts in der Spielwelt. Sie sind ein vollkommen abstraktes Werkzeug zur Beschäftigung des Spielers. Brecht’sches Spiel mit V-Effekt. Wo man bei BRP einach eine Probe in seiner Fertigkeit mit 45% würfelt und sich in den Charakter hineinfühlt, der ja genau weiß, wie gut er in etwas ist, wird bei Trail die Immersion durch abstrakte Überlegungen auf der Metaebene gestört. Wer braucht denn eigentlich diese Punkteschieberei?

 

Stability / Sanity

Die geistige Gesundheit wird mit zwei Parametern gemessen: Stability und Sanity. Der Unterschied zwischen beiden Werten (auch sie sind Poolfertigkeiten) wird über zwei Seiten im Regelwerk erläutert. Schlau wird man daraus jedoch nicht. Stability ist jedenfalls ein Wert, von dem oft Punkte abgezogen werden, egal ob durch Mythos- oder Nichtmythosvorfälle, während Sanity eine langsamere, tiefergehende Schädigung des persönlichen Weltbildes durch den Kontakt zum Cthulhu-Mythos simulieren soll. Wahnsinnig wird man jedenfalls über beide Werte. Im Spiel zeigte sich, dass die Stability-Punkte ziemlich schnell in den Keller gehen, weil für den geringfügigsten Stresszustand (z.B. den Anblick einer Leiche) als auch für Begegnungen mit Mythoskreaturen Stability verloren geht. Warum man am Ende des Szenarios durch Mythosbegegnungen wahnsinnig ist, weil man am Anfang des Szenarios eine Leiche gesehen hat, ist aber nicht nachvollziehbar, da es ja einen zweiten Wert, nämlich die Sanity eben just für das persönliche Weltbild gibt. Warum hat man nicht Stability für Nichtmythosstress reserviert, und als schlimmste Konsequenz ein bloßes tempöräres „Durchdrehen“ festgelegt, und den Wahnsinn ausschließlich an die Sanity-Schädigung gekoppelt? So, wie die Regeln sind, hat man auch wieder hier abstrakte Werte, unter denen man sich nichts vorstellen kann.

Im Vergleich zur schlichten Schönheit des geistigen-Stabilität-Systems von BRP mit nur einer Skala verliert Trail, denn spielmechanisch ist kein Vorteil erkennbar. Peinlich für die Autoren ist jedoch auch, dass sie gegenüber den realistischeren Unknown-Armies-Regeln für geistige Zustände gnadenlos abstinken, denn an dem eleganten UA muss sich jedes Horror-Rollenspiel messen, das seitdem erschienen ist. In meiner Gruppe haben wir die Stability/Sanity-Regeln bereits nach einer Spielsitzung abgeschafft.

 

Fazit

Trail of Cthulhu löst elegant Probleme, die mit etwas Erfahrung vermeidbar sind, und schafft durch Einführung abstrakter Regelmechanismen Probleme, die in klassischen Rollenspielen niemals auftreten können. Trail bzw. das zugrundeliegende Gumshoe-Regelwerk wurde von Intellektuellen im Elfenbeinturm geschrieben und führt im Feldversuch zu vielen Pannen. Ab ins Regal mit Dir, Regelbuch, und fange Staub! Iä!

Published in: on April 14, 2012 at 2:41 pm  Comments (13)  

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13 KommentareHinterlasse einen Kommentar

  1. Leider eine sehr einseitige, faktisch falsche (z.B. beim ausruhen) und voreingenommene Rezension über ein gerade im Horrorbereich exzellent spielbares Rollenspiel.

  2. Aha…? Wir haben drei offizielle ToC-Szenarios gespielt. Ich berufe mich nicht nur auf meine Meinung als Spielleiter, sondern auch auf die Rückmeldungen der Spieler.

  3. Würde es 100% so unterschreiben. Die Mechaniken sind sehr häufig sehr abstrakt und hinterlassen viele Fragezeichen über dem Kopp. Gerade die Regeln der geistigen Stabi sind vollkommen unspielbar, es sei denn, man spielt jeden Abend nur One Shots!

  4. Der schlimmste faux-pas sind die sanity Regeln, mit allem anderen kommt man irgendwie zurecht. Aber warum sollte man, wenn es besser funktionierende Regelwerke gibt?
    Schöne treffende Rezension ghoul!

  5. Ob man die abstrakten Elemente wie Spotlight-Skillpools [die sich tatsächlich durch „Verschnaufen“ auffüllen lassen] im Spiel haben will ist sicherlich Geschmacksfrage.
    In meinen Runden waren aber viele von Dir genannten Probleme nicht wirklich welche. Das abstrakte Verhandeln bei Spends fügt sich mit ein klein wenig Übung nahtlos ins Spiel, er wird nicht mehr verhandelt sondern in fast allen Fällen nur noch abgenickt.
    Das Sanity/Stability System ist in ToC recht gut erklärt. Auch wenn man aufgrund seiner Mythoserfahrungen jegliches Vertrauen ins humanozentrische Weltbild verloren hat, kann man sich bei entsprechend hoher Stability noch immer in die Gesellschaft einfügen oder zumindest funktionieren. Das passt nicht unbedingt zu den Definitionen der klinischen Psychologie, bildet aber einige von HPLs Figuren recht gut ab.

    Koboldkönig, welche Szenarien hast Du bisher gespielt? Die Stability-Verluste der meisten SC hielten sich bei uns halbwegs in Grenzen, vor allem, wenn man die verschiedenen Möglichkeiten berücksichtigt, Verluste abzufedern und/oder zu verhindern.

  6. Die Trail of Cthulhu Regeln sind absichtlich auf einer abstrakten Ebene angesiedelt. Wem das nicht gefällt (und das muss es ja auch nicht) kann eines der anderen vorhandenen Regelsysteme verwenden.

    Für das Ausruhgen bzw. das Auffrischen der General Abilities gibt es einen „Cheat Sheet“, der die unterschiedlichen Regelungen je Gumshoe System aufführt. Zu finden ist es unter folgendem Link: http://www.pelgranepress.com/?p=7569
    Die Regeln für das Auffrischen sind also ein klein wenig differenzierter als nur einmal alle 24 h und unbenommen abstrakt.

    Robin D. Laws hat auch ein paar Zeilen zum Thema „Ratings and Pools“ bei den General Abilities geschrieben, zu finden hier: http://www.pelgranepress.com/?p=7574
    Ich empfehle die Lektüre des Beitrags, er zeigt recht gut den Unterschied zwischen dem Gumshoe System und beispielsweise Cthulhu mit BRP.

    Die Probleme mit dem Stability/Sanity System kann ich mit meinen Erfahrungen nicht nachvollziehen. In meiner Runde spielen wir schon weit über ein Jahr ToC (Armitage Files) und wir hatten bisher noch keine Totalausfälle.

    ToC ist aufgrund seiner abstrakten Regeln sicherlich nicht für jede Runde geeignet. Geschmäcker sind verschieden und das ist auch gut so. In meiner Runde funktioniert ToC auch nicht perfekt. Dazu aber mehr in meinem Erfahrungsbericht über die Unterschiede zwischen ToC und RoC.

  7. Ich kann die Kritik in praktisch keinem Punkt nachvollziehen.

    Stability/Sanity soll erklären, wieso sich bekloppte Kultisten dennoch in der Gesellschaft bewegen und sogar Intrigen spinnen können. Das kann das BRP nicht. Auch in der Praxis hatten wir keine Probleme damit. Sorry, aber deine Ausführungen zeigen, dass bei euch irgendwas missverstanden wurde.

    Das „Aushandeln“ des Einsatzes von Investiativpunkten ist nur dann ein Problem, wenn man zu viel aushandeln will. Bei uns läuft das so: „Bringt es was, wenn ich einen Punkt ausgebe?“ – „Ja.“ – „Dann tue ich das.“

    Punkte = Rampenlichtzeit ist gewöhnungsbedürftig. Da aber der SL entscheidet, wann und wie die Punkte aufgefrischt werden (steht auch so im Regelbuch), sollte auch das kein Problem darstellen.

    Ich mag das BRP sehr gern, aber ToC bietet Sachen, die es nicht kann. Schade, wenn es euch nicht gefällt, aber Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden und gerade Abstraktion nicht jedermanns Sache. Die Abstraktion kann aber auf ein Minimum reduziert werden, wenn man es richtig angeht, und „unverständlich“, „funktioniert nicht“, etc. ist einfach falsch. „Passt nicht zu eurem Spielstil“ würde ich eher akzeptieren.

  8. Als einer der Mitspieler der Ghoulrunde kann ich folgendes sagen: Nach unserem ersten Abenteuer „Shanghai bullets“ war mein Charakter tod (was kein Problem ist), ein anderer wahnsinnig, einer kurz vor dem Wahnsinn und der 4te Charakter hatte „nur“ die Hälfte seine Sanity und Stabilitypunkte verlohren. Selbst wenn man das “Cheat Sheet” verwendet (welches im Buch nicht enthalten ist!) „erfrischen“ sich die Sanity und Stability Pool nicht während eines Spielabends und auch nach Vollendung eines Abenteuer deutlich zu wenig. Dadurch werden Charaktere viel zu schnell durch „Banalitäten“ wahnsinnig (Stability auf null) und das mögliche Stadium als Kultist kann somit auch gar nicht erreicht werden. So waren unsere Charaktere bereits so angeschlagen davon das wir eine Leiche gesehen hatten, mit einer Waffe bedroht wurden und einen übernatürlichen Gegenstand angesehen hatten, dass sie vollständig durchdrehten als ein „kleineres Mythos Wesen“ auftauchte.

    Nach dem wir die Regeln für geistige Stabilität ersetzt hatten liefen die Abeuteuer deutlich spielbarer, aber ich empfand es als irritierend mit dem Spielleiter darüber zu verhandeln, an welcher Stelle ich für das zusätzlich Ausgeben von Punkten in den Investigative Abilities Vorteile bzw. zusätzliches Wissen erkaufen könnte. Wird innerhalb eines Abenteuers nämlich mehrmals ein solcher Vorteil/Wissen in der gleichen Fertigkeit möglich, gilt es abzuwägen, wann man die wenigen Punkte ausgibt. Ich bin aber der Meinung: entweder ich weiß bzw. schaffe etwas (im BRP-Regelwerkweil ich den Wurf geschafft habe) oder nicht, es sollte nicht eine Sache von Punkteverhandlung sein.

  9. Um Mißverständnissen entgegen zu wirken, die Cheat Sheets fassen nur die Regeln um der Übersichtlichkeit willen zusammen,dadurch ändert sich nichts.
    In den Abenteuern, die ich gespielt und geleitet hab (unter anderem auch Shanghai Bullets), kamen Charaktertode und Wahnsinn zwar vor, aber nicht öfter als in unseren BRP Runden.
    Ich würde sogar sagen, ToC Charaktere sind oft tougher als ihre BRP-Gegenstücke, da man ja Punkte verteilen darf und so für hohe Gesundheits- und Stabilitätswerte sorgen kann.

  10. Zu den General Abilities: Wenn man Erholen durch Verschnaufen zulässt, handelt man sich jede Menge neuer Probleme ein, das System wird dann vollends absurd.

    Zu Stability/Sanity: Das erklärt nicht die Entstehung von Kultisten, es simuliert sie bloss. Regeln zum speziellen Simulieren von Menschen-NSCs braucht aber kein Mensch (genauso sinnlos: die NSC-Klassen von D&D3). Was man braucht sind Regeln für Spieler und um ihre Charaktere.

    Armitage Files: Ein Thema für sich, darauf gehe ich jetzt nicht ein. Interessiert mich auch nicht sonderlich.

    Abenteuerband „Stunning Eldritch Tales“: Darauf werde ich in einem separaten Blogeintrag eingehen.

  11. Wir verwenden die normalen Regeln, nach denen einmal pro Spielabend in einer passenden Pause bis zu drei Pools aufgefüllt werden können. Die angenehm niedrige Absurditätsstufe des Spiels wird dadurch nicht wirklich erhöht.

  12. Ja klar, und die Spannungsstufe ist dann auch „angenehm niedrig“. Einfach immer genug Punkte aus dem Pool raushauen, damit der Wurf nur bei einer 1 misslingt.
    Tolles System. Tolle Kämpfe. Ich bin restlos begeistert. :-/

  13. Ich komme aus der Zukunft und frage mich, ob sich nicht eigentlich das UA „mental health“ System sich nicht fast 1:1 an jedes beliebige Spiel tackern lässt…


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